Vogelperspektivisch betrachtet wirkt der
zweidimensionale Grundrissplan des HAU1-Saals wie die Seziervorlage für einen
gigantischen Heiligen Pillendreher (Scarabaeus sacer). Liest man die
zahlreichen Längenangaben getreu der Legende im Maßstab 1:200, so ergeben die
beiden Foyer-Wände, die den Zuschauerraum flankieren und sich zugleich als die
Hinterbeine des imaginären Riesenblatthornkäfers ausnehmen, jeweils eine Länge
von 12,80 m im realen Theaterraum.
Grafik: HAU Berlin |
Versteht man die kreisrund eingezeichnete Drehbühne
als Kopf des Insekts, so erscheint einem die Vorbühne unweigerlich als Thorax,
der breitere Zuschauerraum als Abdomen mit einer Länge von 14 m und einer
Breite von 10,50 m. 470 Menschen finden darin Platz.
Als Zuschauer befinden wir uns also irgendwo im
Abdomen dieses monströsen Käfers aus der Unterfamilie der Scarabaeinae.
Es herrscht tiefe Dunkelheit.
938 andere, in der Finsternis umher starrende Augen.
Das Geräusch 469 atmender Lungen, plus der eigenen.
Hinzu kommen 470 grummelnde Mägen, ihr Klang, der eines
nahenden Gewitters.
Gruselige (Theater-)Vorstellung.
Foto: U. Schmidt |
Jedoch (oder zum Glück) wäre das Sinnbild unseres
Heiligen Pillendrehers nicht komplett, würde man nicht auch auf seinen stark
solaren Aspekt hindeuten, und dass er im Alten Ägypten mit dem Sonnengott
Chepre in Verbindung gebracht wurde. Sein Name bedeutet der (von selbst) entstand, so wie die Ägypter auch glaubten, dass
die Sonne jeden Morgen wieder von selbst aus der Erde emporsteigt.
Von selbst passiert in unserem Theatersaal-Abdomen
allerdings nichts. Es braucht schon jemanden, der das Licht anknipst. Dies muss
nicht zwingend ein Sonnengott sein. Im Regelfall genügt
dafür ein Techniker oder eine Technikerin. Die Vorstellung eines totenstill-finsteren
Theatersaals ist natürlich abwegig. In der Regel kommt man herein, alles ist
soweit ausgeleuchtet, dass man seinem Vordermann nicht in die Hacken tritt und
seinen Platz findet. Dann sitzt man da, genießt die Vorstellung, die Bühne ist
fabelhaft ausgeleuchtet, sie dreht sich, wohin sie sich zu drehen hat, der
Sound stimmt, alles ist dufte. Aber mal ehrlich, wer fragt nach den Leuten, die
dieses ganze Drumherum so perfekt orchestrieren? Wer fragt nach den Leuten,
ohne die jeder Theaterbesuch dem Besuch in einem finsteren Riesenkäferbauch
gleichen würde? Die Antwort: Wir!
Wir haben drei Leuten sieben Fragen bezüglich ihrer
Ängste und Freuden im Hinblick auf das 100° gestellt, und zwar Micky Esch,
technischem Leiter des HAU2, Susanne Görres, technischer Leiterin des HAU1 und
HAU3, sowie Elke Maria Koßmann von der EMK-Gästetafel, die dieses Jahr das
Catering in den Sophiensaelen besorgt und gegen das gespenstische Grummeln
leerer Publikumsmägen ins Feld zieht.
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