Samstag, 22. Februar 2014

Swastika Droneporn

The New Babarians | Collateral Murder


Die Symbolik wird abstrahiert, mit ihr gespielt, um die eigene Achse gedreht. Wir sehen unsere eigenen gewählten Fixpunkte, sitzen auf dem Boden und hören die verzerrten Frequenzen. Das Video läuft, die Performerin stellt sich wie ein Scherenschnitt davor und beginnt ihr Schattenspiel. Sie manipuliert die Manipulativität der Symbolik und ihre gesellschaftlich eindeutige Konnotation. Zwischen Staccato und Stagnation wird aus einem Hakenkreuz eine Swastika, aus den Zeichen werden Symbole, deren Bedeutungen sich in den Doppelbödigkeiten wenden.

//tot

Speedanalysis



magic garden | QUESTIONING / WER WIR SIND

Zwei Stuhlreihen, die sich gegenüberstehen. "Setzt euch jemandem gegenüber, den ihr nicht kennt", sagt eine der Performerinnen, "nehmt den Umschlag unter eurem Stuhl und beantwortet die Fragen über eurer Gegenüber." Der erste Eindruck zählt. Danach wird nicht mehr gesprochen, beinah 40 Minuten. 
Thea ist 34. Sie fühlt sich seit ein paar Tagen komisch, weil sie schon längst ihre Periode hätte bekommen müssen – denke ich, schreibe ich nieder. Die Zeit ist um. Mein Gegenüber und ich tauschen unsere Umschläge: Thea heißt Isabell, führt seit vier Jahren ihre eigene Bäckerei, das Thema Kinder spielt gerade keine Rolle. Kurz reden wir noch, dann winken wir uns zu, "noch viel Spaß". Unsere Bögen werden nicht eingefordert, nur die Fragen bleiben: Woher weiß sie, dass ich Sachen gerne aufschiebe, und warum wirke ich so selbstzentriert? Egal, ich muss ins nächste Stück.

*Name und biographische Bezüge von der Redaktion geändert.



Hey, I am Thorbi



Karl Thorbergsson | I am here for the right reason

Vor gut zwei Wochen wurde im Kopenhagener Zoo die Giraffe Marius getötet und den Löwen zum Fraß vorgeworfen – ein natürlicher Vorgang. Das ist die Realität, sagt der Performer Karl Thorbergsson. Ein Jahr zuvor hatte er die Babygiraffe noch mit seiner Familie besucht, die auch im Publikum sitzt. Der Isländer ist höflich, hat sich jedem Zuschauer persönlich vorgestellt und auf die kleinen und großen Details der Bühne aufmerksam gemacht. Nehmt euch Zeit, lasst das Reale und Wahre zu, sagt er, und steht da, für vielleicht fünf bis zehn Minuten. Eine Halbstunde Ehrlichkeit in einem geschützten Raum. Nett war sie, vielen Dank. 

//ls 

Soll ich dir mal eine Frage stellen, die so richtig Spaß macht?


Patrick Wengenroth und Matze Kloppe bieten eine musikalische Monströsitäten-Show, bei der man ins Taumeln gerät. Musik vom Planeten Porno heißt das in den Sophiensaelen zur Schau gestellte Programm: „Ein unfasslicher Eintopf der musikalischen Unmöglichkeiten, zusammengebraut aus Zutaten, über die man nur den Kopf schütteln kann, bis man am Ende gerührt dasteht und weint – oder tanzt und lacht“, sagt das Programmheft. Zehn Fragen an Patrick Wengenroth.


Wärst du ein Seemann und würdest eine Augenklappe tragen, was wäre dein Kosename?
Mausischnauz.

In welchem Land würdest du gerne auf einem Balkon vor dem jubelnden Fußvolk einen neuen Nationalfeiertag ausrufen – und welcher wäre das?
Ich stehe lieber auf der Bühne als auf Balkonen, bin lieber Sänger als Politiker und ziehe das Singen dem "AUS" rufen vor...

Für welches Verbrechen würdest du gerne ins Gefängnis gehen?
Dafür, dass man den Leuten, die einem allzu oft das Leben zur Hölle machen, mal so richtig auf die Schnauze haut.

Was ist das Normalste, das du dir vorstellen kannst?
Würstchen grillen und ein Bier dazu.

Wer ist böser? Charles Manson oder Anton LaVey?
Keine Meinung – Gegenfrage: Wer ist der bessere Schriftsteller: Joseph Eichendorff oder E.T.A. Hoffmann?
[Gegenantwort [tot]: Der Imageberater von Giovanni Trapattoni.]

Was ist heißer Scheiß?
Die neuen Platten von Ja, Panik und Beyonce ...

Wer sollte unbedingt ein Poster von dir über dem Bett hängen haben?
Meine Kids.

Wärst du lieber Spezialist im Messerwerfen oder im Kopfrechnen?
Im Messerwerfen.

Was kannst du unter Druck nicht?
Echt lachen.

Welches ist die am häufigsten zu hörende Frequenz auf dem Planeten Porno?
Keine Ahnung, welche Frequenz Liebe und Hass haben ... aber die dann halt.

//tot

WENGENROTH/KLOPPE
Musik vom Planeten Porno
Freitag, 23 Uhr
Sophiensaele Kantine

Let’s talk about money


Geld ist geprägte Freiheit. Geld kann Leben nicht kaufen. Geld stinkt nicht. Geld ist eine Fiktion. Über Geld zu reden kann uferlos sein. Die Mitglieder der Spielzeitgruppe 12/13 des Freien Theaters Tempus fugit in Lörrach haben ein Spielfeld entwickelt, auf dem sie ihren persönlichen Kampf gegen das Scheitern am Umgang mit dem Geld austragen, die Utopie einer geldlosen Welt erproben können. Die Theaterpädagogen Benjamin Böck und Laura Jacob suchten gemeinsam mit der Gruppe nach einer Form, in der auch mit Halbwissen agiert werden kann: „Bei den ersten Arbeitstreffen zu Money Honey haben wir uns in tausend Fragen verstrickt, beispielsweise was die gängige Konsumkritik angeht.“ Gegen erhobene Zeigefinger haben sie einen Moralbuzzer eingeführt. Nun freut sich die Gruppe darauf, sich beim 100° wiederzutreffen: Seit der letzten Spielzeit, haben sich die am Stück beteiligten Praktikantinnen und Praktikanten, die die Multiplikatorenausbildung bei Tempus fugit absolviert haben, in alle Winde verstreut.

//fs

Freies Theater Tempus fugit
Money Honey
Samstag, 17 Uhr
Ballhaus Ost 

Ratschläge sind Schläge

Wenn guter Rat teuer ist, ist schlechter Rat dann billig? "Ein schlechter Rat ist der einzige Rat, der gegeben werden soll und kann. Er ist der Ratschlag in seiner ehrlichsten und reinsten Form." Klingt weird. Aber weirdness sollte man ohnehin stets erwarten, wenn man Crystal Tits fragt. Doch scheint das irgendwie auch plausibel, wenn man betrachtet, wie viele Ratgeber ganze Bücherschränke füllen, vom Hilfesuchen bei Google mal ganz zu schweigen. Menschen suchen Rat, Crystal Tits haben ihn. Mit mehr Ideen als es Fahrräder in China gibt erteilen sie einige ernsthaft-gute bad advices. Mitttels ihrer Hotline haben sie hierfür das Gegenmittel zur unkreativen Problemlösung hinsichtlich Garderoben-Dilemmas, dem signature dance move oder Frisuren. Ihre Philosophie beruht dabei auf Achtsamkeit gegenüber Selbstwahrnehmung und eigenem Verhalten, um Identitätsfragen zu lösen und radikale Fortschritte zu machen, die unsere Alltagsgrenzen einreißen. 


Also geben wir ihnen zehn Minuten – sie werden unser Leben verändern.

//mn


Crystal Tits/Anna Natt/Jaime Schwartz
The Bad Advice Hotline: the best worst advice you'll ever get and didn't know you needed
Samstag, 20-23 Uhr
HAU1 Bar | One on One


Programmänderung: Samstag, 20 Uhr, HAU1 Saal!

Das Stück Strategopulos und Uhlenbeck auf Alpha Sagittarii der Gruppe die spiegelbilder entfällt. Statt dessen zeigen Wanja van Suntum und Stephan Stock als cobratheater.cobra und vorschlag:hammer ihr Stück Als der Körper zum Feind wurde. Eine Koproduktion mit dem Jungen Schauspielhaus Düsseldorf. Gefördert durch den Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes. Premiere war am 21. Januar 2014 im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf.

cobratheater.cobra ist Künstler_innennetzwerk und Label zugleich. Es schafft sich stetig neue Körper, indem es dazu auffordert die Cobra-Klammer zu setzen. Künstler_innen, die sich an Produktionen beteiligen, können sich des Labels bedienen, haben dabei aber keine formal-ästhetischen Einschränkungen. Pluralität ist gefragt im cobratheater.cobra.
Foto: Sebastian Hoppe
In Als der Körper zum Feind wurde rückt Pluralität als gesellschaftliche Einschrift in den Fokus. Als Anforderungen und Erwartungen, die sich an das ICH der Pubertät richten. Eben jene Zeit, in der das Bewusstsein zum eigenen Körper entsteht und damit auch zu seiner Erscheinung nach außen. "ICH werde zur sozialen Formmasse – aber es herrscht Peinlichkeit", so werden Erinnnerungen an eigene und fremde Geschichten erzählt und unperfekte Körper präsentiert. Durch diese lässt man dann das Internet zirkulieren. Ist das dann der Feind als Fremdkörper? Mehr noch scheint es eine Annäherung an die Häutung der cobra.

cobratheater.cobra über ihr Stück: "Diese Theateraufführung versucht über Pubertät zu sprechen, sie markiert die Differenz unserer Erscheinung zu der aktuellen Jugendlichkeit. Wir erinnern unsere und fremde Geschichten und bringen unsere unperfekten Körper ins Spiel, wodurch vielleicht doch zwei Jungs erscheinen. Vielleicht die Jungs, die wir mal waren, sprechen von Liebe, Gewalt und Drogen. Wir tanzen auch, so wie wir es cool finden und intim. Wir sprechen über unsere Albträume und lassen das Internet durch unsere Körper zirkulieren. Emotionen kommen nicht zu kurz, dringende Fragen kommen auf, aber alles wird ein mal vergessen sein. Daran wollen wir Samstag erinnern."  
//mn

cobratheater.cobra
Als der Körper zum Feind wurde
Samstag, 20 Uhr
Sophiensaele, Saal

Ein Krieg, den ihr nicht gewinnen könnt


Pascal Houdus und Anton Krause | Schöner Scheitern #11 – Pascal Houdus ist Rambo

Ich versuchte ihn zusammenzuhalten, aber es ging nicht, seine Gedärme kamen immer weiter aus ihm raus! Niemand wollte uns helfen! Joe hat geweint, er sagte: "Ich will nach Hause, ich will nach Hause!", er hat es immer wieder gesagt, "Ich will nach Hause, ich will meinen Chevy fahren!", und ich konnte seine verdammten Beine nicht finden!
Foto: Arne Schmitt
Rambo schafft es nach Hause, der letzte Überlebende seiner Special-Forces-Einheit, empfangen wird er wie ein Verbrecher. Ein Kindermörder. Wie kannst du zurückkehren, wenn du Dinge erlebt hast, die dir nicht mehr aus dem Kopf gehen? Um das herauszufinden, wird Pascal Houdus selbst zu Rambo. Eine sukzessive Transformation, die von Slapstick über Ironie zu Tiefgründigkeit hin und wieder zurück wandert. Eigentlich ein bisschen wie der Film. Sylvester Stallone brach sich bei den Dreharbeiten zu Rambo vier Rippen, Pascal Houdus musste zwar nur ein paar Rohei-Shakes trinken, aber sein Einsatz hat sich trotzdem gelohnt: Viel Lachen, viel Emotion, nur ein bisschen kürzer hätte man sich für das 100° wohl fassen müssen.

//sim

Luftikuss


Svetlana Schwin | Der Kuss

Der Titel der Soloperformance „Der Kuss“ schürt Ängste oder Hoffnungen. Die werden am Einlass befeuert werden: Ob man einen Kaugummi oder Tic Tac konsumieren wolle. Ja, danke, nimmt man lieber mal. Alle drücken sich an der Wand herum, Tanzstundenbenehmen. Die Performerin sitzt in der Mitte im Dunklen, beleuchtet mit einem Spiegel kreisrund ihren Mund. Der macht so, als sei er ein unabhängiges Wesen, ein kleiner Mond oder wabernde Masse, die sich ihres Aggregatszustands nicht sicher ist, Tor zur Außenwelt für kleine Leidenschaftsseufzer. So also sieht knutschen aus, wenn niemand am anderen Zungenende hängt! Die Dielen des Ballhauses knarzen, bei jedem Geräusch vermutet man hinterrücks den Angriff. Er bleibt aus.

//fs

There is a light that never goes out


Christough! & Dänny D. | Eröffnungsparty Ballhaus Ost – Durational Performance für minimal 50 Tänzer

Die Performer Christough! & Dänny D. machen am Eröffnungstag des Ballhaus Ost alles falsch. Anstatt den Fokus der Zuschauer ihres Mammutprojekts von Anfang an auf die vergehende Zeit zu richten, pumpen sie die Masse mit musikalischem Opium voll. Britney Spears, Backstreet Boys und Bad Romance animieren die Teilnehmer zwar zum Tanzen und Trinken, auf die Uhr sieht jedoch niemand. Meditative Zustände kommen höchstens auf der Drogentoilette auf. Unterstützt von einer bunten Lichtshow versuchen die Performer über Stunden hinweg alles, aber auch Perlen der elektronischen und britischen Musik animieren die Zuschauer nicht zum In-sich-Gehen und zur Reflexion. Gegen sechs Uhr geben die Performer erschöpft auf. Von denen, die nicht vorzeitig zu anderen Stücken verschwunden sind, gibt es anerkennenden Applaus. Erfolg sieht allerdings anders aus. Für eine philosophische Veranstaltung viel zu viel Spaß und Alkohol mit zu wenig ernstzunehmendem Inhalt.

//ar

Wiedergabeliste: /Leer/

Gudmundsson und Schäfer | St. Tropez

Fotos: Roger Rossell
Echt und unecht zugleich. Eine Sitzdisko kann unterhaltsam sein. Während man sich fragen könnte, wofür man die Ohrstöpsel braucht, die vor der Show verteilt wurden, beginnt eine leise Einführung, die auf so etwas wie Rahmenhandlung verweisen könnte. Das ist unterhaltsam, die Mimik passt, Haltung oke. Was dann folgt ist Show. Nachdem die Luftballon-Sektflaschen aus den Kartons befreit sind, geht die Disko an. Das gemochte Lied wird in Frakturen gezeigt, die beiden Performer irrleuchten im Dunkel und dazu noch die selbstgemachte Nebelmaschine aus dem Chemieunterricht. Bunte Lichter werden so zerstreut, schon mal gesehen, Unterhaltung kann so beliebig sein.

//mn

Lautes Schweigen


Camila Rhodi | Do u wanna talk about it?

Es gibt Dinge, über die möchte man nicht sprechen. Wenn man sich selbst den Mund verbietet, fällt es unter Umständen leichter. Unausprechbares hat man heutzutage auf dem Telefon. Vielleicht ist das die nötige Distanz, die sich herstellt, wenn man ein Tabu aufnimmt. So ist die Unterhaltung mit Camila Rhodi erst einmal einseitig. Sie hat sich den Mund mit Tape verklebt und lässt das Audiofile sprechen. Der Blick in stolze Augen und Erinnerungen an eine zerstörte Kindheit treibt mir Tränen in die Augen. Doch cheesy ist das nicht, es wirkt authentisch – und das ist das Erschreckende dieser ehrlichen und intensiven Arbeit. 

//mn

Der Archevater des Letzten Testaments


Ob Moses, Abraham Jesus oder Gott - die Bibel ist ein Sammelsurium an Männern, Vätern und Söhnen, die sich nicht unbedingt immer grün sind, aber seiner Familie kann bekanntlich niemand entkommen. Der Schauspieler und Theatermacher Niklas Leifert nimmt die Väter und Vatersväter auseinander und performt beim 100° Grad den finalen Teil der biblischen Testamente, „Das letzte Testament“.

Für das 100Wort Blog hat der Theatermacher die Strichmännchenfigur unserer Redakteurin Lara Sielmann zum Vaterarchetypen des Letzten Testaments umgewandelt.
  

Lieber Niklas Leifert, jedes Testament hat seine hervorstechenden Vaterfiguren, wie sieht die Archevaterfigur des Letzten Testaments aus und was sagt Eva dazu?

  
Ein Testament ist eine rechtsverbindliche Verfügung, eine Regelung für den Erbfall. Tritt er ein, gibt es laut „Das Letzte Testament“ gerade keine Vaterfigur mehr, auf den die Verantwortung abgewälzt werden könnte. Eva kommt in meiner Performance nicht vor. Wahrscheinlich würde sie sagen: „Geht’s hier zum Paradies?“ und „Bekomme ich eine zweite Chance?"
//ls

Niklas Leifert 
Das letztes Testament
Samstag, 18 Uhr
Sophiensaele 213