Mittwoch, 19. Februar 2014

As long as I know how to play I know I will survive. Regelwerk einer Festivaldebütantin


Das 100° muss grauenhaft sein! Der Vorhof der Tausendmöglichkeitenhölle, die Beihilfe zum Suizid für Entscheidungsschwache. Survival of the Fittest, haucht die freie Theaterszene heiß und unheilvoll in meinen 100°-Debütantinnen-Nacken, und ich weiß nicht, was mir mehr Angst macht: Der schirokkoartige Luftstrom, der Überforderung und Wettbewerb verheißt und das Wasser in meinem Körper zum Sieden bringt, oder die Unwissenheit darüber, was „die aus dem Off“ schon wieder mit mir vorhaben. Ich schwitze, brauche dringend (bis morgen!) eine Strategie und wühle mich manisch durch alle 1OOWORT-Einträge meiner bloggenden Vorväter und -mütter. Aus den Fundstücken bastele ich folgendes Regelwerk, das ich, während ich mit Birkenzweigen mein glühendes Fleisch geißele, wie ein Mantra vor mich hinmurmele:

§1 Auftritte und Abgänge: Never just in time! Performances stets nach Vorstellungsbeginn aufsuchen, vor dem Applaus wieder verlassen, nächste crashen. Bei Langeweile sofort raus. Heißt für andere: Bestimmt wichtig, erlauchtes Jurymitglied, ehrenwerte Kuratorin, junger aufstrebender Regisseur. Gedanken an Vergleich mit Bildzeitungsschlagzeilenlektüre in der Kassenschlange abschütteln, lieber von der Würdigung der besonderen VIP-Aura durch ein Foto von Henrike Iglesias oder die Zerstörung meines ganz persönlichen Lieblingssongs durch Richi Rich träumen.

§2 Wahl der Unterwäsche angesichts der Unmöglichkeit eines Wechsels während nicht vorhandener Programmlücken, bei gleichzeitiger Wahrscheinlichkeit von Übergriffen auf meinen phänomenalen Zuschauerkörper in Zeiten des allumfassenden Wunsches nach Überschreitung der Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum unter Zuhilfenahme aller vier Elemente: die ungeblümte, nichtweiße, comicapplikationslose, intransparente, möglichst zusammenpassende, gut sitzende, also weder einschneidende, noch von Oma als ordentlicher Schlüpfer betitelte, lochfreie. (Ähnliches gilt für Socken respektive Strumpfhosen.)

§3 Unter Androhung des Nachsitzens auf Peters und Pauls höchstliegender Schwitzstubenpritsche zu vermeidende Fragen im WAU und an den Spielstättenbars: Sag mal, Performerbody, magst du mich von deiner wolf-of-wall-street-reifen Künstlergage nicht mal zu nem Bier einladen? / Und –  rentenversichert? Geile Schafskopfmaske – was wolltest du mir eigentlich damit sagen?

§4 Premierensekt/Nichtpremierensekt: Der erste richtet auf. Der zweite hält konstant. Und so fort.

§5 Rückgriff auf Übergangsrituale, wissenschaftlich dafür bekannt, noch jedes krisengeschüttelte Individuum in den Schoß der Zivilisation zurückgeführt zu haben. Hier: Shuttlebusfahren unter Inkaufnahme bzw. Billigung der gedanklichen Echolalie einschlägiger Zeilen aus den Demobändern. Beichtstuhlbesuche beim Klub der Kavaliersdelikte. Unterbewusstseinskritzeleien an den vorgesehen Stellen im Programmheft.

§6 Urteil: Endlich mal selber „Dschüri“ sein. Gnadenlos für den Publikumspreis abstimmen. Winterolympiadenmentalität ablegen. Eher à la Wolfgang Joop: „Du bist ein Performer, der besser zu Hause aufgehoben ist.“

//fs

Samstag, 15. Februar 2014

Alle die sich für Verbrechen interessieren – Hände hoch!



Jede Revolution begann mit einem Regelbruch. Und machen wir uns nichts vor - kleine Regelverstöße, grober Unfug und kollektiver Ungehorsam machen mords viel Spaß.



Das diesjährige Rahmenprogramm des 100° wird vom Klub der Kavaliersdelikte betrieben und ist da, um uns alle auf Trab zu halten. Das Syndikat interessiert sich für Verbrechen. Um genauer zu sein: Grauzonen, produktive Verbrechen - Kavaliersdelikte eben, die eine kreative Energie erzeugen oder aus ihr entspringen. Gewalt ist uninteressant, da sie unproduktiv ist. Über den geplanten Aktionen des Klubs schwebt nämlich ein ganz besonderer Esprit: durch kreative Kavaliersdelikte Menschen zusammenzuführen, die unter normalen Bedingungen nicht zusammenfinden würden.

Durch ein Füllhorn von Aktionen wollen sie mit den Regeln des Festivals spielen und diese umkehren, um allen ein möglichst spaßiges und gefährliches Festival zu bieten. Man darf gespannt sein auf eine spektakuläre SMS-Agentur, Bestechungen par excellence, einen mobilen Beichtstuhl, ein Gewächshaus, Klubschnaps und das Mitternachtsgeballer - dem bösen Zwilling der Mitternachtsgespräche.
Nähere Informationen werden euch bald erreichen.

Als Bestechungs- und Akquirierungsstrategie verteilt der Klub Suppe an die Festivalbesucher. Ja, man kann und soll Mitglied dieses formidablen Klubs werden. Als Gegenleistung verlangen sie, dass man als Task-Performance das Festival unterwandert und sich charmant dem Regelwerk des 100° widersetzt.

// Breche an den unpassendsten Stellen in schallendes Gelächter aus // Sei die Person, die am längsten klatscht // Ziehe einen Stecker // Wirf ein Taschentuch, ein Haarteil oder einen kleinen Elefanten auf die Bühne // Huste penetrant // Setz dich zu den Performern // Tob dich aus // usw. // usf. // Denk dir was Feines aus. 

Also: Sei selbst ein Spektakel, ein kleines bisschen Anarchie, um vollkommen dabei zu sein. Eine 100° Parallelgesellschaft aus Klubmitgliedern soll dadurch entstehen und den Spaß maximieren. Als Klubmitglied wird man generell belohnt. Es gibt nur einen Weg herauszufinden, womit.







Dies ist das Manifest des Klubs der Kavaliersdelikte:

Der Klub ist ein Klub von Kompliz*innen.
Sie folgen keiner Satzung und keinem Manifest.
Sie sind Freaks und Verschwörer, Gaunerinnen und Quacksalber, Querköpfe und Erfinder.
Sie sind Expert*innen in absurden Disziplinen.

Der Klub fackelt nicht lange. Er fordert Selbstinitiative.
Die Kompliz*innen handeln auf eigene Gefahr.
Ihre Neugier ist ansteckend, ihre Erfahrung beeindruckend, ihr Wesen charmant.
Ihre Delikte sind Zeugnis ihrer Kreativität.

Jede Innovation, Erfindung und Revolution begann mit einem Regelbruch.

Der Klub sind: Marleen Wolter / Aische Spalthoff / Silvan Stephan / Michael Kranixfeld / Andreas Rosenthal / Isabel Schwenk

Pro Abend sind sie an zwei Stellen gleichzeitig präsent.

Do.: HAU & Sophiensaele
Fr.:  HAU & Ballhaus Ost
Sa.: Sophiensaele & Ballhaus Ost
So.: HAU & Sophiensaele

//TOT